Freitag, 27. Dezember 2013

Dienstag, 24. Dezember 2013

Adventskalender (24, Schluss): Crazy Familien

("Bern Baby Burn" vom 24. Dezember 2011)

O du Weihnachten! Heute findet wieder der urbane Exodus statt; alle in die Stadt migrierten Landeier fahren aufs Dorf, der Bahnhof wird voll sein von Leuten mit feierlichen Mienen und Taschen, aus denen Geschenke quellen. Inklusive mir, ich bin Weihnachtsfan, ich liebe das. Wie meine Familie Berge von Essen auftischt, jeder bringt was mit, bei Gekauftem wird diskret die Nase gerümpft, und ab und zu wird jemand ironisch sagen: Jetzt haben wir wieder zu wenig zu essen! Oder: Nächstes Jahr suche ich mir eine Familie, in der es genug zu essen gibt!, und nie verleidet uns der Witz. Irgendwann werden wir Spiele spielen, ich werde verlieren und wütend werden, wie schon immer, und meine Schwestern werden sagen: Das ist, weil du nie im Kindergarten warst. Später werden wir etwas singen, so halb motiviert, weil irgendwer darauf besteht. Und am Abend spät werde ich mit meinen Gspänli vor der Reitschule anstehen und hoffen, dass wir noch reinkommen, und meine Gspänli werden Anekdoten von ihren eigenen crazy Familien erzählen; das war schon immer eine wohltuende Erkenntnis, dass keine Sippe perfekt ist. Familie halt.

Weihnachten halt. Ich hoffe bloss, es gibt genug zu essen. Und nicht wieder zu wenig Päckli.

Montag, 23. Dezember 2013

Adventskalender (23): Taube, tot

("Bern Baby Burn" vom 13. Juni 2009)

Neulich wartete ich auf den Bus. Dabei schaute ich ein paar Tauben zu, die auf dem Asphalt dieses Vogel-Dings machten – beschäftigt rumeiern. Nach einiger Zeit fuhr der Bus heran, und die Tauben machten sich aus dem Staub. Nur eine wusste nicht wohin, und eierte ausgerechnet: unters Rad.

Pfltsch.

Machte es, als der Bus darüberrollte. Ein wenig knackte es auch, als würde man die Luft aus einer PET-Flasche drücken. Taube tot. Ich ekelte mich lautstark. Die Leute neben mir, die es nicht gesehen hatten, schauten verwundert und dachten wohl: Wieder so eine mit Tourette-Syndrom. Nur ein Kind sagte: «Mami, warum hets nid chönnä furtflügä?», aber Mami wusste auch keine Erklärung.

Ich schon: Darwin.

Der Vogel war zu doof, deshalb musste er sterben. Tauben sind ohnehin unnütz, und man sollte froh sein, wenns eine weniger hat. Würde ich gern denken. Aber jedes Mal, wenn ich seither die Luft aus einer PET-Flasche drücke, durchfährt mich ein taubenfreundliches Schaudern.

Sonntag, 22. Dezember 2013

Adventskalender (22): Besinnungslos

("Bern Baby Burn" vom 22. Dezember 2012)

Dabei wollte ich doch noch so viel! Ich wollte Grittibänzen backen und schöne, persönliche Weihnachtskarten schreiben und sie dann auch tatsächlich verschicken. Überhaupt Briefe und Karten schreiben. Sport treiben und Yoga machen und gesunde Sachen essen. Weniger Alkohol. Mehr schlafen. Die Grossmutter anrufen. Die Fenster putzen. Oder putzen lassen. Ein Back-up machen. Jeden Tag Zahnseide benutzen. Das Lichterspektakel auf dem Bundesplatz anschauen. Das Hochzeitskleid reinigen lassen. Mit dem Zug schnell nach Paris fahren. Immer zurückschreiben. «Krieg und Frieden» fertig lesen. Das Velolicht flicken. Die Bilder aufhängen, die immer noch herumstehen. Gitarre üben. Eine halbwegs anständige Bank finden und das UBS-Konto auflösen. Lernen, wie Twitter funktioniert. Ordnung auf den Computer und in die E-Mails bringen. Das mit den Swiss-Flugmeilen abklären. Den Kleiderschrank aufräumen. Scrabble spielen. Einen Kurs besuchen. Und ich wollte eine Kolumne schreiben mit der Pointe, dass ein mir bekannter Mensch beim Lied «Es ist ein Ros entsprungen» jahrelang verstand: «Es ist ein Ross entsprungen».

Aber jetzt ist natürlich schon wieder Weihnachten und das Jahr quasi vorbei.

Samstag, 21. Dezember 2013

Adventskalender (21): Fertig jetzt

("Bern Baby Burn" vom 21. Dezember 2013)


Und dabei hätte ich noch so viel schreiben wollen. Dass der Breitsch ein verschlafenes, überbewertetes Quartier ist, aber immer noch das beste. Dass man nichts mehr verlässlich abmachen kann und mich diese Unverbindlichkeit aufregt. Dass die meisten Tattoos hässlich sind. Dass es nur eine richtige Bar gibt in Bern, den Kreisssaal, und dass das inzwischen viel zu viele Leute erkannt haben. Dass Hooligans und die Langweiler vom Schwarzen Block armselige Existenzen sind. Dass es wenig Erhabeneres gibt als den Blick von der Eisenbahnbrücke aus Richtung Münster bei Föhnstimmung. Dass der Kitchener der einzige okaye Laden ist in Bern und es dann mal reicht mit Billigketten. Dass zu viel gejammert wird in dieser Stadt. Dass man jemanden finden sollte, der einen besseren Menschen aus einem macht, und man diese Person heiraten sollte.


Schade. Das werde ich nun leider alles nicht schreiben können, weil diese Kolumne fertig ist. Nach fast fünf Jahren.


Aber hey - meinen allergrössten Vorsatz habe ich eingehalten. Ganz zu Beginn hatte ich mir geschworen: Niemals, nie schreibst du eine dieser Metakolumnen. In der langweilige Kolumnisten rumheulen, dass sie keine Idee hatten und die Umstände beschreiben, unter denen ihr schlechter Text entstand. Wer nichts zu schreiben weiss, möge die Finger von der Tastatur lassen.


The End.

Freitag, 20. Dezember 2013

Adventskalender (20): Blöde Frage

("Bern Baby Burn" vom 23. November 2013)

Frauen um die 30 wird gern locker-flockig die Frage gestellt: Und, wie stehts mit Nachwuchs? Meinen unbekinderten Freundinnen passiert das ständig. Männer werden hingegen kaum je nach ihrem Kinderwunsch gefragt. Logo, Fortpflanzung ist ja auch ganz allein Frauensache. Dabei sind die Neugierigen nie enge Freunde, sondern fast immer flüchtige Bekannte, männliche, ältere. Kürzlich erkundigte sich wieder mal einer nach meiner Familienplanung, an einem Fest, ich mit einem Bier in der Hand. Natürlich gab ich wie immer freundlich-unverfänglich Auskunft. Gern würde ich aber einmal ein paar andere Antworten ausprobieren. Zum Beispiel: 
  • Kinder? Niemals! Am Ende kommen sie noch so raus wie eure!
  • Gut, dass du fragst! Wir gehen jetzt nämlich grad heim zum Üben. Und ich wollte schon lange einen praktisch Fremden um Rat bitten. Welche Stellung würdest du empfehlen?
  • Schön, dass du fragst. Ich hatte letzten Monat eine Fehlgeburt, und ich wollte schon lang mit einem praktisch Fremden darüber reden.
  • Lustig, dass du fragst, ich bin nämlich schwanger, aber ich dachte, so 3, 4 Liter Bier können ja wohl nicht schaden.
  • Das geht dich im Fall grad gar nichts an. Frag das besser nie eine Frau. Ausser, du willst ein Kind mit ihr. 

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Adventskalender (19): Mein neuer Unort

("Bern Baby Burn" vom 31. August 2013)

Für manche Menschen ist es die Höchststrafe, am Samstag um 18 Uhr in der Migros oben im Bahnhof einzukaufen. Dann, wenn halb Bern plötzlich einfällt: Huch! Wir haben ja noch nichts eingekauft! Was machen wir am Sonntag nur! Wir werden verhungern!

Mir machen die Menschenmassen dort nichts aus. Entspannt schlängle ich mich durch die Regale, überhole streitende Paare, tobende Kinder, bekiffte Teenager, hole mein Farmer-Pecannuss-Müesli und steuere stracks an die Selbstbedienungskasse. No Problemo. Der Laden ist eng, aber freundlich.

Ganz anders der Coop im Bahnhof. Das ist für mich der neue Berner Unort. Dabei bin ich ein Coop-Kind, ich mag Marken, Wein, spezielles Gemüse, da ist man bei Coop besser bedient. Doch die niedrige Decke, das kalte Licht, das Kassenanweiser-Sicherheitspersonal, das Sortiment (ich zählte gut zwei Dutzend Gemüsesorten, aber mehr als 100 Alkoholarten, noch ohne Wein!): ein trauriger Laden. Vermutlich perfekt für das Bahnhofvorplatzpersonal. Ich hingegen werde am Bahnhof zum Migros-Kind.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Adventskalender (18): Basiskapitalismus

("Bern Baby Burn" vom 18. September 2010)

Früher, als ich noch jedes Wochenende zweimal in den Ausgang ging (liebes Leben, ist diese Phase wirklich vorbei?), war ich auch jedes Wochenende in der Reitschule. Deshalb werde ich auch ein kräftiges I love Reitschule in die Urne werfen. 

Für Jugendliche ist das nämlich ein tipptopper Ort. Nicht nur wegen der Musik im Dachstock. Und weil halt alle dort sind. Und weil man dort so viel raucht und trinkt und küsst und konsumiert und sich dabei schön antikapitalistisch fühlen kann. 

Sondern ein wenig auch, weil Erwachsene die Reitschule blöd und/oder gefährlich finden. Dann müssen Jugendliche grad extra hin, das ist quasi ihr Job. 

Heute bin ich nur noch selten in der Reitschule. (Eben, das Alter!) Neulich am Flohmarkt. Es gab Ramsch und Kettensägen. Und ein Gspänli erzählte mir: Wenn man dort sein Zeug verkaufen will, muss man am Morgen um 4 Uhr vor dem Tor stehen und ellbögeln wie verruckt, damit man einen guten Verkaufsplatz bekommt. 

«Basiskapitalismus», nannte sie das. Uiuiui!

Adventskalender (17, mit Verspätung): Ein bisschen sterben

("Bern Baby Burn" vom 14. September 2013)

Es ist vorbei, bye-bye. Diese Zeit Ende August, Anfang September ist für mich die traurigste des ganzen Jahres. Jeden Tag stirbt jetzt ein Stück Sommer, jeden Tag ein kleiner Abschied, jedes Mal könnte das letzte sein: das letzte Mal in die Aare, das letzte Mal raus ohne Jacke, das letzte Mal der Geruch von Sonnencreme im Flachland, das letzte Mal keine Strümpfe tragen, das letzte Hochzeitsfest, das letzte Mal die Wäsche draussen zum Trocknen hängen. Meistens wars dann nur das vorletzte Mal. Oft wird es dann doch noch einmal für ein paar Tage warm, aber nie mehr richtig heiss. Diese Zeit ist beides halb und nichts richtig, weder Sommer noch Herbst: Es ist die Jahreszeit der Melancholie. Die Tage fühlen sich nun an wie ein einziger, langer Kater. Die Pflanzen auf dem Balkon wachsen kaum mehr. Das Velo bleibt öfter vor dem Haus stehen. Der Regen erfrischt jetzt nicht mehr, er ist unangenehm kalt, und es stinkt von den Regenwürmern auf dem Asphalt. Immerzu ist man falsch angezogen, zu warm oder zu kalt. Es gibt wieder Schweizer Äpfel, und plötzlich ist alles orange: das Licht, die Blätter, die Kürbisse. 

Manchmal blitzt am Horizont schon ganz kurz der Winter auf. Ich bin immerzu müde und würde nun sehr gern ganz lange schlafen. Und erst wieder im Frühling erwachen, der ein einziges grosses Versprechen ist.

Montag, 16. Dezember 2013

Adventskalender (16): Das elfte Gebot

("Bern Baby Burn" vom 16. April 2011)

Gerade in diesen Tagen, vor dem Zügeltermin, wird vielen Menschen wieder mal das elfte Gebot bewusst: Du sollst nicht Kram ansammeln. Ich habe das Problem gelöst, indem ich am Sonntag schachtelweise Zeug aufs Mäuerchen an der Quartierstrasse gestellt und als «gratis» beschriftet habe – am Abend war alles weg. Selbst der grösste Schrott. Der Mensch ist ein Aasgeier.

Nun habe ich mir vorgenommen, nur noch immaterielle Dinge zu sammeln. Meine neue Leidenschaft: Ich sammle Verhörer. Ist im Fall kein Verschreiber: Verhörer. Weil es immer wieder eine grosse Freude ist, wenn jemand etwas ganz falsch versteht.

Den jüngsten Zugang nahm ich kürzlich im schönen Restaurant Volver beim Rathaus auf. Die Kellnerin kam an unseren Tisch und fragte, ob jemand von uns «ä Süessmoscht» bestellt habe. Mein Gspänli: «Was? Gmüestoast?» Ich weiss noch nicht, ob der es in meine Top-3 schafft. Die sind schon hübsch besetzt, etwa so:

A: Ich bin mit Jürg Halter zur Schule gegangen.

B: Was? Mit Jörg Haider?

Aber mein Liebling ist die Szene von vor dem Spiel YB – Fenerbahçe Istanbul, als jemand vor dem Stadion sagte: A: «Viellech isch ja d Miss Türkei da.» B: «Dr Mister Gay?» Super Verhörer. Und braucht null Platz im Zügelauto.

Sonntag, 15. Dezember 2013

Adventskalender (15): Abserviert

("Bern Baby Burn" vom 9. November 2013)

Eine amerikanische Studie hat ergeben: In alternativen Berner Szenelokalen arbeiten besonders häufig total asoziale Kellnerinnen. Das mit der Studie ist gelogen, aber ich bin sicher, dass Forscher genau zu diesem Befund kämen, wenn sie dieses Thema endlich untersuchen würden. Mangels wissenschaftlicher Befunde hier meine Privatstudie dazu: In Bern gibt es Fifty Shades of strenge Kellnerinnen. Sie arbeiten zackig und lächeln nie. Sie trocknen Gläser ab und tun dabei so, als würden sie am offenen Herzen operieren – nicht stören jetzt! Sie klopfen den Kaffeekolben aus, als wäre er eine Mordwaffe, und geben dem Gast stets ein wenig das Gefühl zu nerven. Warum die gerade in linksalternativen Beizen arbeiten? Ha ke Ahnig. Ha ke Ahnig. Chume chume nid drus.

Nun darf man nicht vergessen: Der Serviceberuf ist anstrengend und aufreibend und schlecht bezahlt. Deshalb hat Gastropersonal grundsätzlich höchsten Respekt verdient. Selbst wenn jemand tollpatschig ist und falsche Getränke bringt: Solange die Person dabei immer freundlich bleibt, gehört sie mit Trinkgeld überschüttet.

Das Problem ist die Gastrowichtigtuerei. Ist mir bisher fast nur in Bern begegnet. Diese Servicearroganz! Kann sich nur leisten, wer weiss, dass es weit und breit kein anderes Lokal hat, in das diese volldoofen Gäste gehen könnten.

Samstag, 14. Dezember 2013

Adventskalender (14): Der Schandfleck von Bern

("Bern Baby Burn" vom 18. Februar 2012)

Auch nach Aarau könnte man mal fahren, dachten wir uns und fuhren nach Aarau. Es war sehr kalt, aber das Kunsthaus nah, und so sahen wir uns die Ausstellung von Roman Signer an, die sehr zu empfehlen ist im Fall. Am liebsten mochte ich das Filmli mit der Kiste: Die steht allein auf einer Wiese. Darunter eine mächtige Rakete. Der Künstler zündet sie an, und die Kiste explodiert in hunderttausend Stücke. So simpel wie effektiv. Auf dem Heimweg im Zug dachte ich wieder an Roman Signer, als ich Bern erreichte. Möge der Künstler kommen und auch den Schandfleck von Bern in die Luft jagen! Natürlich nur, wenn niemand drin ist, obwohl mir das Publikum dieses Ortes schon einigermassen, pardon, unsympathisch ist. Nie im Leben würde ich freiwillig da reingehen. Ich würde um mein Gedankengut fürchten und um meine Ohren sowieso. Ausserdem ist das Gebäude einfach grauenhaft hässlich. Eine schreckliche Visitenkarte für die Bundesstadt. Wie kann es nur sein, dass so ein wüstes Ding da unbehelligt stehen darf, während man inzwischen für jeden Crêpe-Teller in Bern eine Bewilligung benötigt? Herr Signer, übernehmen Sie bitte. Der Schandfleck von Bern möge in eine Million Teile zerspringen. Niemand würde sie vermissen, die rote Musicalhalle im Wankdorf.

Freitag, 13. Dezember 2013

Adventskalender (13): Gut Ding

("Bern Baby Burn" vom 23. Juni 2012

Es gibt Leute, die sind wahnsinnig stolz darauf, dass ihre gesamte Habe in eine Bananenschachtel passt. Ich gehöre nicht dazu. Ich liebe meine Sachen, pflege eine innige Beziehung zu Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen, etwa zu meiner Himugüegeli-Tasse oder meiner Küchenmaschine.

Aber ich bin nicht allein. Auch andere Menschen sind seltsam mit Sachen. Ich kenne jemanden, der regelmässig die Teller ganz unten vom Stapel benutzt – damit die nicht vernachlässigt werden. Die Mutter einer Freundin von mir kauft immer den hässlichsten Weihnachtsbaum, den sonst niemand will, aus purem Mitgefühl. Ich selbst unterscheide bei Plastiksäcken schöne von wüsten. Die wüsten wandern in den Abfall, die schönen werden gesammelt und zu besonderen Gelegenheiten getragen. Und ich bin im Fall nicht die Einzige, die so denkt.

Am liebsten ist mir aber die Angewohnheit unserer Freundin, einer halben Amerikanerin. Sie gibt ihren Sachen passende Namen. Ihr Auto, ein Jeep, heisst Heraldo, ihr Velo ist die flinke Cecille, ihr Handy nennt sie Jack. Dann ging Jack kaputt. Jetzt telefoniert sie mit Jack the second. Das Auto ihres Mannes trägt den adligen Namen Mrs. Wendela Wentworth. Und die Lederjacke ist ein heisser Südländer: Massimo Roberto. Gut Ding will eben Liebe haben.

Die sieben Todsünden der Konversation

In meinem Freundeskreis macht ein Podcast die Runde, man hört ihn beim Joggen und im Zug und bei Schlaflosigkeit. Er ist grossartig, und ich gebe den Tipp gern weiter: „This American Life“, eine wöchentliche, ca. 1-stündige Radiosendung, die jeweils einem Überthema gewidmet ist und dieses mit mehreren Beiträgen beleuchtet. Eine meiner Lieblingsfolgen war jene zu den Superpowers; darin taucht die nur auf den ersten Blick banale Frage auf, welche Superkraft man lieber hätte: Fliegen können? Oder unsichtbar sein? - Fliegen gilt als heldenhaft und ist die sozial erwünschtere Antwort, Männer wählen sie meist ohne zu zögern. Die Unsichtbarkeit ist die vermeintliche Superkraft der Feiglinge – oder vielmehr der Schüchternen, der Aussenseiter und Unterdrückten. Super Smalltalk-Thema.

Gerade erst habe ich „The Seven Things You're Not Supposed to Talk About“ gehört. Die Sendung handelt von den strengen Konversationsregeln der Mutter einer der Redaktorinnen. Maria Matthiessen hält sich an eine Liste von Themen, über die man nicht sprechen sollte, weil sie einfach langweilig sind. Sie hatte die Regeln einst von der Mutter einer französischen Freundin übernommen und sie selbst um zwei Punkte erweitert.

Sieben Gesprächsthemen, mit denen man niemanden belästigen sollte:
  1. Dein Schlaf. Es interessiert keinen Menschen, ob du schlecht geschlafen hast. Punkt.
  2. Deine Periode. Kümmert niemanden.
  3. Deine Gesundheit. Niemand interessiert sich für die Beschwerden anderer Menschen. (Die schlimme Erkrankung eines nahen Freundes ist eine Ausnahme. Es geht mehr um die üblichen Bresten und Gebrechen, Erkältungen, Allergien, Fussschmerzen.)
  4. Deine nächtlichen Träume. Die langweiligste Fiktion der Welt.
  5. Geld. Geld ist eine Ausnahme: Man sollte dieses Thema nicht meiden, weil es langweilig ist, sondern weil es vulgär ist.
  6. Diätregimes. Nicht nur Gewichtsabnahme-Pläne, jegliche Restriktionen beim Essen sind einfach uninteressant – glutenfrei, vegan, laktosefrei, schnädädäh.
  7. Route Talk, sprich: Was einem im Auto auf dem Weg irgendwohin widerfahren ist, wo man durchgefahren ist und wo man sich verirrt hat.
Die Radiomacher versuchten die Dame in der Sendung davon zu überzeugen, dass es durchaus interessante Storys zu diesen Themen zu berichten gebe. Sie stöberten tatsächlich bemerkenswerte Geschichten auf. Sie wollten damit beweisen, dass die Regel nicht so apodiktisch angewendet werden dürfe. Nun, es gelang ihnen... nicht.

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Adventskalender (12): Armer Möndu

("Bern Baby Burn" vom 21. Januar 2012)

Der Berner Dialekt ist ein schöner, und er bietet immer wieder Anlass zu hübschen Missverständnissen, weil einfach viele Wörter so ähnlich klingen, mit all den Us und Ös und Üs. Nicht so weich wie der Solothurner mit seinen vielen überflüssigen Es: «I bi ds Soledurn id Reggrudeschueu gange», oder der Bieler mit seinen vielen Os, jooo. Kürzlich hörte ich eine Geschichte, die einer Bielerin wohl nie passieren würde: Es war an einem Geburtstagsfest «im Welschen», als die ganze Gesellschaft «Joyeux anniversaire» sang. Eine Bernerin unter den Gästen sang fröhlich mit. Erst am Ende fragte sie diskret ihren Begleiter, was das eigentlich heisse. Dieses «Schweinesahni».

Aber eben, Missverständnisse gibts nicht nur über die Sprachgrenzen hinweg, gerade im Berndeutschen sind sie verbreitet, und mein Lieblingsverhörer ist ein tragikomischer: Pfaditaufe, vor vielen Jahren, man rudert auf einen See, der Getaufte muss seinen Namen in alle vier Himmelsrichtungen schreien. Einer der Jungen sträubt sich hartnäckig, erst nach viel Widerstand heult er seinen eben erhaltenen Pfadinamen in die Nacht, er hat Tränen in den Augen, seine Stimme zittert.

«Mööönnnguuu! Mööönnnguuu!» Bis ihn die anderen Pfader stoppen. Er heisse im Fall nicht Möngu. Sondern Möndu.

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Das wächst ja wieder


Kurzer Einschub aus aktuellem Anlass:

Es ist wieder passiert. Einmal mehr ging ich zum Coiffeur mit einer sehr konkreten Idee, wie ich danach aussehen möchte. Und einmal mehr sah ich danach völlig anders aus. Ich wollte Marion Cotillard und erhielt Lena Dunham, d.h. ich ging mit diesem Foto rein:

Und kam mit ca. dieser Frisur raus (minus die Farbe):

Dabei schien mich die Coiffeurin verstanden zu haben. Sie erklärte mir detailliert, wie sie es anstellen würde, und es klang alles nach meinem Geschmack. Doch schon während des Schneidens merkte ich, dass sich ein Unglück anbahnte. Da war es allerdings schon zu spät. Und als ich dann immer wieder ausrief: "Das ist so kurz!", meinte die Coiffeurin glaubs, ich sei eher über meinen eigenen Mut erschrocken als über ihre Missinterpretation meines Wunsches.

War ich nicht.

Natürlich verliess ich das Geschäft freundlich. Natürlich sagte ich nicht: Das war überhaupt nicht, was ich wollte, du Ignorantin. Es wäre eh zu spät gewesen. Ich lächelte und blieb höflich. Erst zu Hause erlitt ich einen kleinen Nervenzusammenbruch ("es könnte schlimmer sein", sagte meine Freundin J., und schickte mir dieses Foto - hihi)


Nun lautet mein Mantra: Das wächst ja wieder. Gerade gewöhne ich mich an die neue Frisur. Aber ich wundere mich schon, weshalb mir das immer wieder passiert. Ich kam schon mit rosaroten Haaren aus einem Friseurgeschäft in Berlin (ging dann zurück und sass noch einmal etwa 3 Stunden dort, um das ganze zu retten). Mit auberginen-farbigem Haar aus einem Berner Salon (gewünscht hatte ich mir einen Bronzestich). "Das hellt sich auf nach ein paar Wäschen", sagte die Coiffeurin.

Das Viel-zu-kurz-Problem ist auch schon mehrmals aufgetaucht; etwa, als eine Lehrlingsfrau immer wieder ausgleichen musste, weil sie keine gerade Linie hinkriegte und ihre Betreuerin im angesehenen Berner Salon zu beschäftigt war mit Tratschen, um das Malheur abzuwenden. Ich bekam zur Entschuldigung einen Gutschein. Den ich natürlich nie einlöste.

Der Tiefpunkt meiner Coiffeur-Pannenkarriere aber ereignete sich an meiner Hochzeit. Wie wichtig die Hochzeitsfrisur ist, muss ich ja nicht erklären, und so war ich auch wahnsinnig glücklich, eine Coiffeurin gefunden zu haben, von der ich dachte: Endlich eine, die mich versteht! Die genau weiss, was ich will! Die Probe verlief perfekt, ich war euphorisch, hätte sie abknutschen können und schrieb ihr verliebte SMS.

Das war verhängnisvoll. Denn als der Hochzeitstag schliesslich gekommen war, vertraute ich ihr blind. Selbst als ich dann doch ein bisschen skeptisch wurde, vermochte sie mich zu beruhigen: "Das muss ein bisschen fester sein als beim Üben, sonst fällt nach zwei Stunden alles auseinander!"

Erst auf den Hochzeitsfotos realisierte ich so richtig, dass ich eine komplett andere Frisur hatte. Und zwar die letzte, die ich hätte haben wollen: ein Vogelnest! OMG. Ich werde niemals darüber hinweg kommen.

Das Vorbild.
Das andere Vorbild.
Das Resultat.

Und hier hilft auch mein Coiffeur-Mantra nichts mehr. Das wächst ja wieder. Das wächst ja wieder. Das wächst ja wieder.

Adventskalender (11): Eltern im Hausgang

("Bern Baby Burn" vom 15. September 2012)

Kinder breiten sich in meinem Bekanntenkreis aus, als wären sie ansteckend, und sie machen das Leben der Eltern reicher und komplizierter. Sie schmeissen den Kaffee um, sie wollen exakt dann essen, wenn sie eben Hunger haben, und sie schlafen genau dann, wenn es ihnen passt, selten dann, wenn es die Eltern gern hätten. Sie sind ja auch sehr doof. Ich zum Beispiel stellte mir als Kind vor, die böse Kreatur namens Marder, die ab und zu ein Kabel kaputt machte oder Eier stahl, sei ein kleiner Mann mit rechteckigem Kopf. Doof.

Kommt das Gespräch auf Kinder, versichern sich Unbekinderte, wie unkompliziert sie das handhaben wollen, wenn sie selbst mal ein Bébé haben. Kinder müssen sich den Eltern anpassen, nicht umgekehrt! Dann macht es halt mal später Mittagschlaf! Dann gibts halt mal Pommes frites statt Rüeblibrei!

Ja ja. Wir haben gut reden.

Vielleicht könnten wir etwas von unseren Vätern und Müttern lernen. Die waren in dieser Hinsicht ausnahmsweise ja mal cooler als wir. Heute liefe es wohl unter Vernachlässigung, wenn Eltern in den Ausgang gehen und die Kinder allein zu Hause lassen würden. So war es jeweils bei meinem Gspänli. Er suchte seine Mutter immer vergeblich im Korridor, wenn sie abends wegging. Dabei hatte sie doch gesagt, sie gehe in den Hausgang.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Adventskalender (10): Ausknipsen

("Bern Baby Burn" vom 30. März 2013)

Viele Menschen sind grosse Fans des Autofahrens, ich inbegriffen, aber im Normalfall fahre ich viel lieber Zug, stundenlang könnte ich das, und das muss ich auch, als Pendlerin. Aber manchmal verstehe ich die Autofanatiker auch ein bisschen. Nicht wegen Verspätungen oder Pannen oder teurer Billette oder so. Nein.

Das grosse Problem am öffentlichen Verkehr ist, dass er öffentlich ist. Da darf jeder mitfahren. Leider. Dabei stören mich nicht einmal mehr die Ärmsten, die sich in den Zug quetschen, bevor die anderen Leute ausgestiegen sind. Auch nicht die Rekruten, die Bier trinken und wüste Witze reissen (das ist quasi ihr Job). Die Paare, die «insgeheim» rumfummeln? Wenns ihnen halt Spass macht! Wandergruppen: Sollen sie doch stinkende Sandwiches essen. Nicht einmal der Mann nervt mich, der im vollen Zug mit seiner Grossmutter telefoniert und deshalb ganz laut reden muss, als er ihr etwa fünfmal erzählt, dass seine Freundin es nicht mochte, dass bei der Grossmutter noch ein Foto seiner Ex stand. WÄISCH GROSELI, SIE ISCH HÄSSIG WORE! Nein, die wirklich Üblen sind die, die sich im Zug die Fingernägel schneiden. Ihr Knips-Geräusch ist der Soundtrack meiner Albträume. Diese Woche tat es wieder einer. Die Nägel sammelte er und entsorgte sie im Mülleimer.

Er war eben gut erzogen.

Montag, 9. Dezember 2013

Adventskalender (9): Ball rein!

("Bern Baby Burn" vom 29. September 2012)

Der Acker meines Herzens befindet sich im Breitenrain. Alle paar Wochen verbringe ich dort einen Nachmittag auf einem Holzbänkli, reisse mir an einem Holzsplitter die Strümpfe auf, esse Gasparini-Glace und huste, weil vor mir ein Mann Stumpen raucht. Willkommen auf dem Spitz, dem Sportplatz Spitalacker, wo einst YB spielte und die Nationalmannschaft.

Obwohl ich als Zugezogene die ungeschriebenen Gesetze des Platzes nicht kenne, ist er mir lieb und teuer. Auf der Terrasse sitzen immer ein paar Herren, die sich ärgern, wenn einer blöd spielt. Ist die erste Mannschaft dran, ruft ein Fan unermüdlich: «Ball rein – Breitenrain!» Und ab und zu raunzt ein Zuschauer einem Spieler etwas Lakonisches zu, etwa: «Dä geisch itz ga hole!», wenn einer den Ball über die Holztribüne gekickt hat.

Sogar Mark Streit ist manchmal da, wenn er in Bern weilt. Stritmärcu! Und kürzlich stand Lars Lunde auf dem Platz. Der Letzte, der YB zum Meistertitel schoss! Er trainiert jetzt ein Drittligateam. Nach dem Spiel schüttelte er den Kopf und vielen die Hand. Ein Junge schleppte derweil einen Sack voller Bälle herum, fast grösser als er selbst. In meinem Kopf sang Prince «Brei-te-rain» zur Melodie von «Purple Rain», und ich dachte: Nur an einem Ort der Welt hat selbst der Ballsack einen Spitz-Namen. Wir nennen ihn: Honoré de Balzac.

Sonntag, 8. Dezember 2013

Adventskalender (8): Anti-Aging

("Bern Baby Burn" vom 24. Juli 2010)

Das Problem am Älterwerden ist nicht der körperliche Zerfall. Das Problem ist, dass sich alles wiederholt. Alles schon mal erlebt, das meiste in Besser. Diese Band? Schon 2003 gesehen. Diese Mode? Trage ich seit Jahren. Diese Story? Hundertmal gelesen. Das Leben wird je länger, desto langweiliger, weil es immer weniger erste Male gibt.

Mein erstes Gurtenfestival zum Beispiel! Da schliefen wir auf der Wiese und sahen UFOs und … wow!!! Letztes Wochenende, mein 13. Gurtenfestival: Quasi Routine. Nichts Neues auf dem Hügel. Das Einzige, was bleibt, sind Geschichten.

Zum Beispiel die: Morgengrauen auf dem Gurten. Man besteigt das Bähnli zur Talfahrt. Auch Hockeyspieler Mark Streit wartet, neben einem Typen mit langem blondem Haar. Da brüllt ein Mann durchs Bähnli:

«Lue da! Der berüemtischt Bärner Sportler auer Zyte!»

Alle schauen sich um. In die Stille ruft der laute Mann:

«Dr Alain Sutter!»

Super Anti-Aging.

Samstag, 7. Dezember 2013

Adventskalender (7): Dingswil

("Bern Baby Burn" vom 16. Mai 2009)

Neulich war BEA, und wenn jemand fragt, wie ich das gemerkt habe, dann rufe ich: Das sieht man doch!

Und zwar daran, dass Hockey vorbei ist und trotzdem so viele Landmenschen in der Stadt rumlaufen. Daran, dass überall Familien sitzen und Sandwiches essen und Tee aus der Feldflasche trinken, die Kinder tragen Sponsorenhüte: Alinghi. John Deere. Landi; die Eltern tragen Regenjacken, Vater und Mutter die gleiche, unisex, zweifarbig. Wenn es nicht regnet, kann man die um die Hüfte binden.

Derweil ärgern sich die Stadtmenschen, weil die BEA-Touristen Rolltreppen und Trams verstopfen und überall im Weg stehen und immer so! langsam! gehen. Aber auch die BEA-Besucher sind froh, wenn sie nach der Weindegustation wieder heim können, weil: Ach, in diesem Bern ist es so hektisch, und nirgends ein Grün!, da haben wir es schon schön in Dings-wil!

Am Wochenende müssen sich die Stadtleute von all dem Ärger erholen. Auf einer Wanderung durch Dings-wil. Landluft schnuppern halt.

Freitag, 6. Dezember 2013

Adventskalender (6): Erholt euch!

("Bern Baby Burn" vom 29. Oktober 2011)

Und dann muss das noch alles sein, die E-Mails, die man schon lange vor sich hingeschoben hat, die Krankenkasse wechseln, die Anrufe, die Wäsche, die Wäsche!, das Bad, die Küche, das Feriengeld umtauschen, die Abwesenheitsmeldung einrichten, die Zeitung abbestellen, die Nachbarin verständigen, die Tickets ausdrucken, die überteuerten Minitübchen Kosmetikzeugs kaufen, die Zehennägel lackieren, das Velo in den Keller stellen, die Tabletten besorgen, den Rucksack aus dem Keller holen, den Kram einpacken, auch die noch feuchten Kleider (die Wäsche!), den Pass suchen, den Kühlschrank ausräumen.

Dann ist Abend, und am nächsten Tag gehts los, das ist schön, aber natürlich erst mal Kopfweh, Entlastungsschmerz, der Körper mag das nicht, so von 100 auf 0, und produziert Phantomstress, und natürlich kann man nicht schlafen, weil immer noch zehn Dinge auf der Liste, die noch erledigt werden wollen, und am Morgen steht man viel zu früh auf und sitzt auf dem gepackten Rucksack und wartet und hat dieses ferientypische flaue Gefühl im Magen von Schlafmangel und Aufregung, und dann muss man auch noch ganz diskret-beiläufig das kleine Säcklein Restmüll an der Tramhaltestelle in den Abfalleimer werfen, so wie die knausrigen alten Damen.

Ferien. Endlich.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Adventskalender (5): Lability

("Bern Baby Burn" vom 27. April 2013)

Wer in der Stadt wohnt und arbeitet, braucht kein Auto. Das war sehr lange meine Überzeugung. Aber wie es mit vielen hehren Prinzipien geht, werden sie mit der Zeit von praktischen Gedanken überholt. Inzwischen fände ich ein Auto super. Man könnte damit Ausflüge in Landbeizen machen und Roadtrips nach Italien, Gepäck hinten rein, Glacepapierchen auf den Boden, Mitsingen zur Musik. Im Zug undenkbar. Das Auto ist das fahrende autonome Kulturzentrum für jedermann. Ein bisschen Freiheit für Bünzlis.

Wenn es nur nicht so viel Pflege bedürfte! Das Auto ist wie ein Hund. Es braucht einen Platz und will gehegt werden, ist oft gefährlich, produziert viel Dreck, kostet unendlich und hat immer irgendwas.

«Mobility ist die Lösung!», höre ich jetzt. Blublabli. Da kann man gleich den Zug nehmen, so umständlich ist es. Zu diesem Verein möchte ich nicht gehören. Im Breitenrain kommen die Leute mit dem Velo zum Mobility-Parkplatz, fahren in die Ikea, kehren zurück und laden dann die vollen Ikea-Taschen aufs Velo, statt das Zeugs zuerst heimzufahren. Alles schon beobachtet. Zudem wird man im Mobility-Auto ständig als schlechter Fahrer beschimpft. Nein. Ich will kein Mitglied bei Mobility sein.

Ich bin eher der Typ Lability. Eigentlich will ich auch gar kein Auto, sondern Freunde mit Auto.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Adventskalender (4): Wäh, wandern!

("Bern Baby Burn" vom 5. September 2009)

Auf einmal müssen meine Gspänli früher vom Ausgang heim. Ganz gesunde junge Menschen bleiben nüchtern und gehen um Mitternacht ins Bett. Weil: «Ich muss morgen um 6 aufstehen, wir machen eine Tour.»

Diese Art Tour hat aber nichts mit Rock'n'Roll zu tun. Nein: Plötzlich gehen alle wandern. Der neue Trendsport. Natur ist nicht mehr doof und wäh, sondern cool und real. Mal abschalten vom Job, mal gucken, wo das Biojoghurt herkommt, mal vermantschte Sandwiches zum Zmittag, mal saubere Luft.

Okay, dann tschesé. Ich bleib unterdessen im kaputten 3007, weil mir fehlen für solche Unternehmungen Disziplin und Tatkraft. Ich wandere dafür ab und zu vom Bett zum Grill, sauge zwei Mal pro Woche eine Kakerlake in den Staubsauger, geniesse das Grün meiner Zimmerpflanzen, ermorde im Geiste die Krähen vor meinem Schlafzimmerfenster und grüsse nachts den Fuchs, der in meinem Quartier Babys aufzieht.

Das ist ja wohl mehr als genug Natur für ein Menschenleben.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Adventskalender (3): Gruusigi blaui Dräcksau

("Bern Baby Burn" vom 26. November 2011)

Einen Feind wünscht man ja niemandem. Trotzdem hatte meine Gang jahrelang gleich zwei, und das freiwillig. Es gab «dr chly Feind» und «dr gross Feind» – beides uns unbekannte Männer, denen wir in Bern ständig begegnet sind und deren Erscheinungsbild einfach nervte. Mit der Zeit wurden diese Namen derart normal, dass wir sie ganz beiläufig benutzten: «Und der Feind war auch noch da.» – «Welcher, der grosse oder der kleine?»

Erst viel später habe ich festgestellt, dass wir nicht die einzigen waren, die in der Kleinstadt ihre Feinde pflegten. Ein Gspänli von mir hat ebenfalls einen Feind, und er kannte auch einen Typ mit Übernamen «Zelt». Bei uns gab es zudem «die Eule», den Mann mit dem seltsamen Namen «Das Jahr» oder «die gruusige Saumoore». Ein anderes Gspänli kannte eine «Fernschönheit» sowie «die gruusigi blaui Dräcksau». Niemand weiss mehr, wie diese böse Bezeichnung entstand. Nach und nach verlieren solche Übernamen ihre Bedeutung, sodass man, ohne mit der Wimper zu zucken, erzählen kann: «Gestern sah ich die gruusige blaui Dräcksau in der Migros.»

Vor kurzem nun habe ich den kleinen Feind kennen gelernt. Es war mir insgeheim ein bisschen peinlich, weil er in Wirklichkeit sehr nett ist. Ich kenne jetzt seinen richtigen Namen. Aber in meinem Kopf, ich brings nicht weg, bleibt er «dr chly Feind».

Montag, 2. Dezember 2013

Adventskalender (2): Jugend bleibt

("Bern Baby Burn" vom 2. Februar 2013)

Diese armen Jugendlichen! Nie können sie es recht machen. Wenn sie drinnen rumhängen und Facebook angucken und Killergames spielen und dick werden, ist es nicht gut. Und wenn sie draussen rumstehen, passt es wieder niemandem. Jetzt will man sie auch noch vom Berner Bahnhofeingang vertreiben.

Ich bin da sehr dagegen. Schon nur aus Eigeninteresse. Wo sonst hat man heute noch die Möglichkeit, junge Menschen in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten? Überall wurden sie verjagt. Dabei sind Jugendliche sehr unterhaltsam, sie machen lustige Geräusche und sehen originell aus in ihrem Bemühen, cool zu sein. Vor denen braucht auch niemand Angst zu haben, die sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Vielleicht sind die Erwachsenen auch bloss neidisch, weil sie selbst keine Zeit mehr haben, die sie totschlagen könnten. Von mir aus dürfen deshalb auch die Eltern ruhig irgendwo rumhängen, wenn sie wollen. Unter dem Baldachin hats noch Platz. Auch die Jugend aus Kehrsatz und Unterseen ist eingeladen. Ich hätte damit kein Problem. In einer gewissen Phase im Leben muss man nun mal rumlungern. Es ist eine gute Beschäftigung. Wie viel Zeit haben wir früher mit Rumlungern verbracht!

Und aus uns ist ja nun wirklich was geworden.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Adventskalender: "Bern Baby Burn"

Diesen Dezember gibts hier wieder einen Adventskalender. Keine Geschenktipps wie vor zwei Jahren, dafür Lektüre. Genauer Kolumnenrecycling. Jeden Tag eine alte Kolumne, die in den vergangenen fünf Jahren in der "Berner Zeitung" erschienen ist und sowieso niemand von euch gelesen hat, deshalb darf ich das. Zum Start eine wettergerechte.


Wintercity (2. März 2013)

Ach, Winter, du schöner, langer, schneereicher! Wie angenehm ist es, ohne schlechtes Gewissen drinnen zu bleiben, rumzugammeln, fernzusehn, jetzt, wo es so viele gute TV-Serien gibt. Das Tram nehmen dürfen statt immer Velo fahren. Nicht joggen zu müssen, und überhaupt, vielen Dank, lieber Winter, dass du uns vor all dem Sport bewahrst, den wir sonst immer treiben. Es macht auch gar nichts, wenn wir deswegen ein bisschen dick werden, weil wir so gern Vermicelles essen und Güeziteig und später Randen und Eintöpfe und immer wieder mal ein wenig Schoggi. Du köstliche Jahreszeit! Sieht ja niemand, die paar Kilos, wir können haufenweise Kleider anziehen, niemand muss halb nackt herumlaufen, wir können jetzt Stiefel tragen und Schals und Jacken, alles gute Kleidungsstücke. Lange, heisse Bäder nehmen. Die Kälte macht schön und ist schön – nichts ist weisser als frisch gefallener Schnee. Breitenrain: Pulver gut! Die Wohnung ist wohlig warm geheizt, oh, wie froh sind wir darum – aber auf dem Balkon bleibt das Bier immer kühl, wir brauchen praktisch keinen Kühlschrank. Auch kein Auto. All die überzeugten Autofahrer steigen wegen dir kleinlaut auf den öffentlichen Verkehr um, zumindest ab und zu. Winter, du schöner! Du hast so viele wunderbare Seiten. 

Aber jetzt ist dann im Fall mal gut. 

Die Welt, ein Dorf

Ich bin in einem Kaff etwa zehn Kilometer von Suberg entfernt aufgewachsen. Als ich klein war, gab es in meinem Dorf noch eine Gesamtschule (die ich sehr gehasst habe), eine Käserei (Mach-1-Glacé, mmh!), eine Viehzuchtgenossenschaft, einen Schützenverein und einen Krämerladen. Gibt es alles nicht mehr, und ich kenne die Nostalgie (und teils die Verklärung), mit der die älteren Dorfbewohner von den alten Zeiten reden, sehr gut.



Es ist der gleiche Ton, der in "Zum Beispiel Suberg" auch immer wieder zu hören ist. Jeder, der in einem Dörfli in der Schweiz aufgewachsen ist, kennt ihn. Deshalb ist "Zum Beispiel Suberg so aktuell. Er trifft ein weit verbreitetes Gefühl, dass in der Schweiz in den vergangenen 50 Jahren dem Wohlstand etwas Unwiderbringliches geopfert worden ist: die Gemeinschaft.

Selbst wenn man diese so nie erlebt hat und dem Dorfleben so früh als möglich entflohen ist: Man sollte diesen Film schauen gehn. Er gibt grossartigen Diskussionsstoff ab (gerade gestern wieder an einer Party zwanzig Minuten  lang mit drei Leuten darüber geredet). Und er ist lustig und liebevoll. In seiner Rückbesinnung auch ein bisschen ein Hipster-Film.

Kinoabend mit Eltern oder Grosseltern: tipptoppes Weihnachtsgeschenk.