Sonntag, 15. März 2009

Phantomschmerz

Es ist seltsam, welch innige Gefühle man zu Gegenständen entwickeln kann. Ich verdammter Materialist. Kann Zeug so gern kriegen. Und, wenn es nicht mehr da ist, richtig vermissen. Schmerzlich, im Wortsinn.

Vor etwa fünf Jahren wurde mir mein wunderschönes (da! schon wieder!) rotes Rennvelo gestohlen. Es war mein erstes und extrem unpraktisch für in der Stadt, weil kein Gepäckträger, kein Ständer, kein Schutzblech, kein Licht, Tramschienen. Aber man ist wahnsinnig schnell damit. Und sexy. Jedenfalls kam es weg. Was nicht so spez ist, das passierte mir seither wieder zweimal. Aber nie tats so weh wie beim ersten Mal.

Einige Tage nach dem Verlust war ich für die Diebstahlsanzeige in diesem für einen Polizeiposten viel zu schönen Haus am Waisenhausplatz, wo die Beamten untereinander billige Witze reissen und sich merklich ein bisschen freuen, wenn ein junges Frollein vorbeikommt. Im Büro füllt ein Polizist, den der Bürodienst ankackt, ein Formular aus, mit Einfingersystem, es dauert, und man hat Zeit, um die Bilder an der Wand zu studieren. Die Welt von oben. So sehen also die Bilder aus, die sich Polizisten an die Wand hängen.

Am Abend desselben Tages ging ich trinken. Den Schmerz ertränken (das ist gelogen, aber eine glaubhafte Ausrede). In der Reithalle (wo ich weder vergewaltigt noch ausgeraubt noch zusammengeschlagen wurde, aber das war reines Glück, weil Schandfleck! Aiaiai!). Um 3 Uhr morgens raus, unter der Brücke durch, dort hats hässliche Grafitti von diesem untalentierten, hyperaktivistischen "Yours" und es riecht nach Bisi, wäh, und trotz allem hielt ich inne: Da stand es! Mein Velo, mein allerliebstes, schönstes, mit den Leuchtpedalen!

Ich war fassungslos. Die Ohnmacht war schrecklich. Das Velo war abgeschlossen und sogar an einem Pfosten festgemacht. Mitnehmen ging nicht. Um drei Uhr morgens die Polizei rufen ging nicht. Um drei Uhr morgens eine Gartenschere holen und ein Velo knacken vor dem autonomen Kulturzentrum Berns ging nicht.

Also heim, schlafen, aufwachen, aua, schnell zur Reithalle. Das Velo war weg.

Das ist jetzt fünf Jahre her. Aber noch immer schaue ich bei jedem roten Rennvelo, das ich irgendwo sehe, ob es womöglich Leuchtpedale hat. Vorbeifahrende Fahrradfahrer blitze ich böse an. Jeder könnte es gewesen sein. Noch wochenlang schleppte ich im Handtäschli ein Schloss mit mir herum. Sollte ich das Velo noch einmal irgendwo sehen, wäre ich gerüstet, und würds eben gleich nochmal abschliessen. Ätschbätsch.

Ich sah es nie mehr wieder. Der Phantomschmerz blieb.

(Das klingt jetzt wie so ein TeleBärn-Beitrags-Schluss: "... Aber d Angscht, die blibt. Für TeleBärn us Oberbottige: Caramel Landsturm." Naja. Wenn jemand einen besseren Schluss weiss, kann er ihn ja dem Roten Kreuz spenden.)

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