Montag, 8. Juni 2009

Der Junkie in uns

Über den Monitoren ist ein Union Jack ausgebreitet, die Flagge ist ein Tischtuch, darauf steht: Whisky, Becher, Coke in Dosen, doch Pete Doherty kommt nur ein oder zweimal während des Konzerts dazu, einen Becher davon zu stürzen – atemlos reiht er ein Lied ans andere, Libertines, Babyshambles, das neue Zeug, nur er und eine akustische Gitarre, nur keine Pause. Vor der Bühne ist viel Platz, die meisten Festivalbesucher stehen an einer Bar und trinken Weisswein, nur die Teenager waren schon früh da, die Pete, neu Peter, mit Reife-R, aus 20 Minutes oder Le Matin Bleu kennen und nicht sicher waren, ob er kommen würde, weil der sagt ja die Konzerte immer ab. Sie tragen einen Pete-Doherty-Hut und ein Gilet, so, wie sie es in 20 Minutes oder Le Matin Bleu bei ihm gesehen haben. So ein Pubertäts-Ding, sich gleich anziehen wie das Idol. Die Mädchen machen Herzen in die Luft mit beiden Zeigefingern und Daumen, jemand schmeisst etwas auf die Bühne - well, you missed, sagt der Junge mit der Gitarre nur, ein Anflug eines Lächelns.



Weiter. Fuck forever. Einmal faltet er einen der Briefe auf, die zwischen den Liedern auf die Bühne fliegen, liest ihn vor, er ist von einem Mädchen, Juliette, sie ist 15, und mit 18 will sie nach Paris gehen und Künstlerin werden. Ein- oder zweimal wechselt er den Hut. Einmal bringt der Roadie einen Fussball auf der Bühne, der ist in ein Migros-Budget-Kitchenersack gepackt. Doherty, im Cardigan, jongliert mit dem Ball, manchmal torkelt er ein wenig, das gehört dazu, dieser gummiartige, schwankende Gang. Zurück an der Gitarre, bei schwierigen Passagen, verdreht er die Augen, blickt nach oben, dass fast nur noch das Weisse der Augen sichtbar ist, weisse Augen in einem weissen Gesicht: You can't stand me now. You can't stand me now. You can't stand me now. You can't stand me now. You can't stand me now. Zündet eine Zigarette an, die hat er in der Hand oder im Mund zum Gitarre spielen. Und dann singt er, mit der Zigarette zwischen den Zähnen. Kokettiert: Ich arbeite mit eurer Regierung zusammen, schmeisst die Drogen auf die Bühne, es ist besser für euch. Er weiss nicht, wo er ist, in Austria oder so, der Manager flüsterts ihm ins Ohr, aber I'm not gonna pretend. Bern or Geneva or whatever. Langsam tut ihm die linke Hand weh, er schüttelt sie aus und sagt lautlos fuck, er blickt in die Menge, die Scheinwerfer blenden. What you gonna do Katie? Und alles ist ein wenig dringlich, und die Teenager üben Zungenküsse, weil so muss sich das Leben anfühlen, Liebe muss weh tun, das Leben ist Rock'n'Roll und Schmerz und Drogen, wäre doch eigentlich Rock'n'Roll und Schmerz und Drogen, sagt uns Pete Doherty, der Junkie in uns.

2 Kommentare:

  1. Liest sich wie Sprudelwasser-Zitronenschnitz. Herrlich, erfrischend und Danke!

    AntwortenLöschen
  2. sehr schön geschrieben und überhaupt ist er super. merci.

    AntwortenLöschen

Schreiben Sie mich!